Bei angenehmen Temperaturen erwachen wir auf der grössten Spielwiese Montenegros. Von Ziegen und Schafen auf eine perfekte Sportrasenlänge getrimmt. Wie gemacht zum Frisbee-spielen und ebenso für erste Fahrversuche. Keine Pfosten, kein Verkehr, keine Häuserecken. Jon und Ben geniessen die holprige Schalterei vom ersten in den zweiten Gang. Zusammenpacken, losfahren, Scheibenwasserflüssigkeit kaufen, Serpentinen zum Ostrog-Kloster hochfahren (15 km). Soweit alles gut. Dieser Pilgerort fasziniert uns nicht wegen seiner Mönche, nicht wegen den Souvenirs, welche zu tausenden gekauft werden und auch nicht wegen seiner spektakulären Bauweise, direkt an einer 100 m hohen Felswand. Er fasziniert wegen der orthodoxen Christen, welche sich hier auf Wolldecken liegend, in Wolldecken gehüllt die Nacht um die Ohren schlagen. Von Schlafen kann kaum die Rede sein. Hunderte legen sich hier, bunt gemischt in Herkunft, Alter und Geschlecht auf den Vorplatz des Ostrog Klosters. Ben fasziniert die festival-ähnliche Stimmung. Er möchte sich am liebsten dazu legen. «Fast wie im Praise-Camp».
Von hier fahren wir südlich, Richtung Skadarskisee. Auf halben weg (50 km) beginnt die Misere. Ich realisiere, dass ich mein Portemonnaie nicht mehr habe. Da sich ärgern und Auto durchsuchen keine Besserung bringen, fahren wir zurück zur Tankstelle, an der ich am Morgen Scheibenwasserflüssigkeit erstanden hatte (50 km). Die Tankstellenwartin weiss leider von NICHTS, bietet aber an, dass der Chef am nächsten Morgen kommen könne um die Überwachungsvideos der Tankstelle zu zeigen. Wir fahren wieder die Serpentinen hoch nach Ostrog (15 km) und suchen alle Plätze ab, wo ich die Geldbörse hätte verloren haben können. NICHTS. Die Nacht verbringen wir auf dem Klosterparkplatz, wo immer noch Gläubige aus allen Nachbarländern ankommen um auf dem Klostervorplatzboden in und auf Wollkecken schlafen zu kommen.
Am Morgen wird meine schlechte Laune nur kurzfristig durch einen vorbeiziehenden Mittelspecht erhellt. Auch die Sonne versucht es – mit mässigem Erfolg. Zurück bei der Tankstelle (15 km) werden wir über eine düstere Treppe durch einen dunkeln Keller, in das schummrige Bureau des Chefs geführt. Ein äusserst hilfsbereiter und freundlicher Mann lässt uns, nicht ohne Stolz, die Videoaufzeichnungen vom Vortag anschauen. Mit 12 Kameras aus verschiedensten Blickwinkeln können wir jede Bewegung an der Tankstelle beobachten. Nur um dabei zu entdecken, dass mein Portemonnaie nach Gebrauch ordentlich in der Seitentasche meiner Hose verstaut wurde. Wieder NICHTS!
Tamara schlägt vor, die Polizei in der Nähe aufzusuchen, ich bin für den Posten in Podgorica, weil ich in der Hauptstadt eine grössere Wache vermute und wir sowieso dorthin fahren werden. Da in Montenegro Feiertag ist habe ich ein Zusatzargument. In Podgorica (50 km) finden wir die Polizei mühelos. Sprachlich wird es schwierig. 5 Polizisten versuchen uns in bestem Serbisch zu erklären, dass wir hier falsch sind. Ein, via Telefon zugeschalteter Kollege wird als Dolmetscher hinzugezogen und meint, dass für Fälle in Ostrog nicht Podgorica, sondern Danilovgrad zuständig sei (AdR: Danilovgrad liegt in der Mitte zwischen Ostrog und Podgorica). Tamara verkneift sich mit Mühe eine zynische Bemerkung. Zum Glück hören wir zum Fahren ein äusserst unterhaltsames Hörbuch einer österreichischen Familie mit jugoslawischer Abstammung, die den lezten Wunsch des verstorbenen Onkels, in Montenegro vergraben zu werden, zu erfüllen versucht. So haben sie den toten Onkel tiefgefroren und reisen jetzt in einem Fiat Panda über 4 Landesgrenzen nach Montenegro. Wir sind also nicht die einzigen mit Schwierigkeiten. Der wortkarge Offizier in Danilovgrad (25 km) kann sogar etwas Englisch und nimmt geduldig meine Anzeige entgegen. 60 min später verlasse ich das karge Polizeirevier mit einem serbischen Schreiben, welches den Verlust (der Offizier hat geschrieben, dass das Portemonnaie gestohlen wurde ODER verloren) meiner Geldbörse und des Fahrerausweises bestätigt.
Unsere Fahrt geht zurück Richtung Podgorica (50 km) und weiter Richtung Skadarskisee (weitere 50 km). Zu akzeptieren, dass Mein Ausweis verloren ist schafft Platz in meinem Kopf für die unglaubliche Schönheit, in welche wir auf dem letzten Streckenabschnitt eintauchen. Der erste Anblick des Skadarskisee’s ist atemberaubend. Doch die schönen Seiten des Reisens sollen keinen Platz haben in diesem Bericht.
Tinu
Comments